Von wertvollen Tränen
Ich erinnere mich an einen Nachmittag 1994 im Garten meiner damaligen Religionslehrerin, einige Mitschüler/innen waren ebenfalls zu Gast – Anlass war der Besuch von Pater Hermann Schulz mit ein paar Kindern bzw. Jugendlichen aus Ruanda, alle ungefähr im Alter von mir und meinen Mitschülern – so zwischen 12 und 15 Jahren jung.
Mit 14 Jahren befand ich mich in einer für mich schwierigen Situation. Ich hatte den Tod meines Großvaters noch nicht überwunden, meine Eltern standen seit Längerem vor den Trümmern ihrer Ehe, mein alkoholkranker Vater war schon lange nicht mehr nüchtern gewesen; es fiel mir schwer zu lachen…
Aber dieser Nachmittag damals war leicht.
Ich erinnere mich, dass wir Kinder uns hauptsächlich mit Händen und Füßen untereinander verständigt haben. Einige spielten Fußball im Garten, ein paar von uns Mädchen haben einander die Haare geflochten – ich erinnere mich an einen Nachmittag und Abend voll Herzlichkeit und Lächeln. Ich erinnere mich an große Dankbarkeit für das Lachen und die Wärme, die diese fremden Kinder in mein Leben brachten. Sie kamen aus einem Jugenddorf für verwaiste Kinder.
Denn vor 26 Jahren war in Ruanda ein Völkermord passiert.
Ganze Dörfer waren zerstört und die in ihnen wohnenden Familien ermordet worden. Menschen – aus welchen Gründen auch immer – waren in fremde Häuser und Familien eingedrungen und hatten andere Menschen (Männer, Frauen und Kinder) gewaltvoll und blutig umgebracht. Die Kinder, die an jenem Nachmittag dafür sorgten, dass ich Leichtigkeit und Lachen fühlen durfte, hatten zuvor ihre Familien verloren. Einige hatten nur überlebt, weil sie sich über Tage unter den Leichen ihrer Familienmitglieder versteckt gehalten hatten… wie das möglich ist, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Einige Zeit nach ihrem Besuch und jenem Nachmittag – die Kinder und Pater Schulz waren abgereist – erzählte unsere Religionslehrerin uns vom Tod eines der Kinder. Es hatte aufgehört zu essen. Wie ich kürzlich erfahren habe, waren es neun Kinder, die im Jugenddorf damals infolge dieser Erlebnisse gestorben sind.
In dieser besinnlichen Jahreszeit schenke ich diesen Kindern gerne mal eine Träne, denn für mich lohnt es sich, diese Kinder nicht zu vergessen.
1994 gab es noch kein Internet… und als ich Jahre später einmal recherchierte blieb meine Suche erfolglos. In diesem Jahr erinnerte ich mich zum ersten Mal seit vielen Jahren an den vollständigen Namen des Paters und fand seinen Verein „Gute Nachricht e.V.“…
Ein vorweihnachtliches Adventsgeschenk, das ich mir selbst gerne gemacht habe, war daher eine Spende genau dorthin.
Ich wünsche Euch allen einen besinnlichen, friedlichen und freudvollen 3. Adventssonntag.
Fotoarbeiter 13. März 2021, 13:39
Beeindruckend.Framich 14. Dezember 2020, 7:14
Das ist eine sehr persönliche Geschichte und sie sagt uns, was wichtig ist. Wenigstens 1 x im Jahr.Liebe Grüße, Frank
Stefan Schwetje 13. Dezember 2020, 20:15
Danke für diese herzergreifende Geschichte...Zeigt sie auch das heutige Probleme wie eine Maske tragen oder Einschränkungen im Privatleben lächerlich gegen das ist, was du da berichtest !!!
LG Stefan