tempus fugit
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Es musste nach Mitternacht gewesen sein, der Stunde, in der die Seelen der toten Musiker auf dem Cimetière du Père Lachaise ihre Gräber verließen, um gemeinsam Musik zu machen. Er folgte zwischen den Gebeinhäusern und Grabsteinen auf Kopfsteinen stolpernd den lauter werdenden Singstimmen, dem von Zeit zu Zeit auf- und abschwellenden Lachen der Musiker und dem süßlichen Geruch von Gras. Am Ende hatte er sie an diesem Platz gefunden und nun dämmerte ihm, dass dieser FRED. CHOPIN der Besitzer des Gebäudes sein musste, vor dem er sich fand. Edith, Gilbert und Jim waren zu Frédéric, dieser romantischen Seele, gekommen für ihre nächtliche Jamsession. Und dann gesellte sich da noch Serge zu ihnen in den Mondschein. Wie kam Serge Gainsbourgs Seele zu dieser Session? Die war doch auf dem Friedhof Montparnasse zu Hause. Georg sah sich sprachlos die Frage stellen, verzweifelt gestikulierend. Aber da war Serge schon verschwunden, eingetaucht mit einer Harley in ein quälendes Licht, das den Raum füllte, in dem Georg die Augen aufschlug, um sie sogleich wieder zu schließen. Er bemühte sich, hinter den geschlossenen Lidern Fäden zu entwirren, zerrissene zu verknoten, aber er fand den Weg nicht, der ihn nach Hause in sein Bett geführt hatte, wo er in Klamotten und wilden Träumen die Nacht beziehungsweise den nach dem Kneipenbesuch verbleibenden Teil derselben verbracht. Dieser Georg war noch immer in seinem Kopf; Wahn und Wirklichkeit flossen ineinander. Vorsichtig suchten seine Augen hinter schmalen Lidspalten durch das halb geöffnete Fenster den Balkon des gegenüberliegenden Hauses. Er wollte sich so orientierend beruhigen. Die Dinge fügten sich allmählich zum gewohnten Weltbild. Vernebelt noch, aber immerhin befriedigend ausgerichtet erschienen die vertrauten Elemente seines Zimmers. Von nebenan drang die Stimme eines Nachrichtensprechers durch die dünne Wand. Sein Schädel lärmte, seine Kehle war ausgetrocknet, er gierte nach Wasser und Aspirin.
(Textauszug, Blende acht, die Sonne lacht)
https://www.fotocommunity.de/photo/titeltb-alfons-gellweiler/47463887
Horst Seibel 10. November 2024, 14:44
Es kann gar nicht anders sein, als dass da nachts die Geister aus den Gräbern steigen. Und nein, das war kein alkoholgeschwängerter Albtraum, sondern da hat sich für einen kurzen Moment der Türspalt in die Andersqwelt geöffnetDragomir Vukovic 10. November 2024, 7:47
great 1 !!!Rainer Rauer 2. November 2024, 11:41
Feine Novemberstimmung auf dem Friedhof. Klasse gesehen!LG Rainer
Herbert Rulf 2. November 2024, 0:23
Ein Foto das ich mir jetzt recht lange angeschaut habe. Dieses Licht, der morbide unaufgeräumte Zustand der Grabsteine und Gräber, eine fast märchenhafte verträumte Stimmung, dazu passend dein Text, schon ein besonderes Foto.LG, Herbert
s. monreal 1. November 2024, 17:39
Wie wahr. Dennoch sollte man bei fienen Bildern ein wenig verweilen und sich nicht hetzen lassen ;) Feinst.Jolifanto1960 1. November 2024, 16:37
Süße Melancholie, klasse Aufnahme!Viele Grüße
Jürgen
Udo Straßmann 1. November 2024, 11:01
Passend zum heutigen Tag!VG Udo
mohane 1. November 2024, 10:54
de saison...