Zurück zur Liste
Schaf im Wolfspelz II: Hornissen-Schwebfliege

Schaf im Wolfspelz II: Hornissen-Schwebfliege

5.497 0

Weißwolf


Premium (World), Güstrow

Schaf im Wolfspelz II: Hornissen-Schwebfliege

Es gibt eine unbewiesene, bislang offenbar nicht näher untersuchte These zum Mimikry der Schwebfliegen. Vermutet haben das meines Wissens ein Dipterologe und Hymenopterologe anhand auffälliger Merkmale, die Schwebfliegen und aculeaten Hautflüglern gemein sind. Im Kern geht es darum, dass die Mimikry der Schwebfliegen 1. nicht nur körperliche, sondern auch verhaltensbiologische Merkmale umfassen würde und 2. einzelne Schwebfliegenarten darin genau ein Pendant bei den Hautflüglern besitzen, wenigstens auf Gattungs-, möglicherweise aber sogar auf Artebene. Leider konnte die Idee nicht näher verfolgt werden, weil der Schwebfliegen-Spezialist verstorben ist.
Für die Hornissen-Schwebfliege Volucella zonaria wird gemeinhin eine äußerlich starke Ähnlichkeit mit der Hornisse (Vespa crabro) postuliert. Verglichen mit anderen Insekten scheint es in der Tat auf den ersten Blick so zu sein, betrachtet man die rot/braune Färbung des Vorderkörpers und schwarz/gelb-Streifung des Hinterleibs. Aber bereits der zweite Blick offenbart deutliche Unterschiede, und der Schluss ist schnell gezogen, es handelt sich bei dem Insekt eben doch nicht um die Hornisse. Aus dem menschlichen Blickwinkel erscheint die Mimikry längst nicht so perfekt, wie es in der populärwissenschaftlichen und teilweise auch in der wissenschaftlichen Literatur häufig dargestellt wird.
Aber das ist eben auch nicht der evolutionsbiologisch richtige Ansatz – der Mensch ist nicht der Maßstab und vor allem nicht der richtige „Ansprechpartner“, d.h. nicht der Adressat für die mimetischen Signale. Das sind nämlich potentielle Konkurrenten und Räuber, die beispielsweise in einem ganz anderen Spektralbereich sehen können als der Mensch. Doch auch hier zeigt sich eine deutliche Ähnlichkeit zwischen Schwebfliege und Hornisse: Beide besitzen im UV-Licht, die viele Tiere sehen können, eine recht ähnliche Zeichnung auf den Kopf- und Körperpartien. Das und die Körperproportionen – mit Ausnahme der Wespentaille – sprechen dann doch für echte Mimikry.
Inwieweit die Larvalökologie der Schwebfliege die Mimikry unterstützt, ist umstritten. Die Larven leben in den Nestern von mindestens drei Faltenwespen, nämlich der Deutschen und der Gemeinen Vespe (Vespula germanica, V. vulgaris) und der Hornisse, wo sie sich von toten Wespenlarven, den Überbleibseln der Häutungen, dem Kot und wohl auch nicht verwerteten Nahrungsresten ernähren – sie sind weder Schmarotzer noch Parasiten, sondern Kommensalen.
Die Wespenähnlichkeit der Hornissen-Schwebfliege könnte durchaus ihr Eindringen in den Wespenstaat zur Eiablage erleichtern, nur erklärt das nicht die schwarz/gelb-Streifung zahlreicher anderer Schwebfliegen, die nicht mit den Wespen vergesellschaftet sind. Der Ursprung der Mimikry muss also ein anderer sein, der sich aber durch Selektion in Richtung Wespenähnlichkeit als entscheidender Vorteil durchsetzen konnte.
Dabei sind zwei weitere Aspekte zu beachten. Die in das Wespenvolk eindringende Schwebfliege kann als das erkannt zu werden, was sie ist, nämlich ein artfremder Eindringling, womit sie sich der Gefahr eines tödlichen Angriffs aussetzt. Andererseits ist aber ihr Nachwuchs, wenn sie die Eier erfolgreich untergebracht hat, bei den Wespen bestens aufgehoben und geschützt, nicht mehr der Witterung und Fressfeinden ausgeliefert und von einem reichen, proteinhaltigen Nahrungsangebot umgeben – er lebt dort gewissermaßen im Schwebfliegen-Schlaraffenland.
Man kann sogar einen dritten Ansatz diskutieren: Die Wespen lassen die Hornissen-Schwebfliege „bewusst“ eindringen und gewähren, weil sie „wissen“, dass deren Larven ihre Behausung reinigen und aufräumen. Das wäre in der Evolution noch nicht einmal ein Einzelfall.
Dass sich jedenfalls eine solche Symbiose evolutiv durchsetzen konnte, ist ein starkes Indiz für das Überwiegen des Vorteils gegenüber dem Gefahrenpotential.
Auch der Selektionsdruck durch Räuber dürfte eine Rolle spielen, wenngleich der Erfolg natürlich nie vollständig ist. Viele Vögel meiden – angeboren oder durch Erfahrung – stachelbewährte Wespen, wovon die wespenähnlichen Schwebfliegen profitieren können. Das gilt zwar nicht für alle Vögel, aber wenn schon einmal ein Großteil von ihnen ein Meideverhalten an den Tag legt, ist das allemal günstiger, als gäbe es gar keines.
Im direkten Verhältnis zwischen Wespen und Schwebfliegen scheint es aber keine (oder eine nur wenig ausgeprägte) Meidestrategie zu geben. In der bei Haut- und Zweiflüglern sehr beliebten Jungfernrebe an unserer Hauswand machen die beiden o.g. Wespenarten regelmäßig auch Jagd auf schwarz/gelbe Schwebfliegen und ähnlich gefärbte Grabwespen einschließlich des wespengroßen Bienenwolfs (Philanthus triangulum).
Volucella zonaria ist in Mitteleuropa weit verbreitet und scheint ihr Areal nach Norden ausbreiten zu können. Gleichwohl tritt sie nur lokal und selten auf, gehört also (noch) zu den Raritäten der heimischen Fauna (für Polen z.B. liegen lediglich 115 Einzelnachweise vor, Stand 2020). Je weiter sie in den Norden vordringt, desto stärker scheint ihre Bindung an menschliche Siedlungen (Botanische und Hausgärten, Parks) zu sein, so dass man sie momentan als hemisynanthrop bezeichnen kann. Die Vorkommen scheinen über längere Zeiträume hinweg relativ großen Schwankungen zu unterliegen; sie hängen u.a. von der Bestandsituation der Wirte und der Verfügbarkeit von Nektar- und Pollenquellen ab. Nach Beobachtungen in unserem Garten bevorzugt sie violette, ist aber auch an weißen Blüten (Liguster, Gewöhnliche Waldrebe) zu finden.
Im Wikipedia-Artikel zur Hornissen-Schwebfliege heißt es in der Einleitung, sie sei die größte und schnellste Schwebfliege Mitteleuropas. Die Bezugsquelle dafür verweist wiederum auf andere Quellen, die ich leider nicht einsehen kann. Bei Superlativen bin ich immer vorsichtig. Hinsichtlich der Größe sind die angegebenen 22 mm (in einer anderen Publikation sind es sogar 23 mm) das Ausnahmemaß, i.d.R. dürfte die Fliege 15 bis 19 mm erreichen. Das ist in etwa die Größe, die regelmäßig auch die beiden Moderholz-Schwebfliegen Temnostoma vespiforme und T. meridionale erreichen. Sicher ist: sie gehört zu den größten Schwebfliegen.
Noch skeptischer bin ich bei der „schnellsten“ Schwebfliege, denn für solche Angabe müssten vergleichende Messergebnisse vorliegen. Eines aber kann ich schon behaupten, der ich schon oft Hornissen-Schwebfliegen vergeblich fotografieren wollte: sie startet nicht, sie ist einfach weg.

Kommentare 0